„Mit dem Gesicht zu den Menschen“

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Matthias Platzeck zu Gast bei Erik Stohn (SPD): Kompromisse statt Konfrontation

In seiner Reihe „Erik Stohn lädt ein“ empfing der hiesige SPD-Landtagsabgeordnete Alt-Ministerpräsident Matthias Platzeck im Kultur-Café KlassMo in Luckenwalde. Es ging um Brandenburg einst und jetzt, um seinen Nachfolger Dietmar Woidke, um ehrliche Politik, um die Notwendigkeit von Kompromissen und um den Krieg in der Ukraine

Luckenwalde. Matthias Platzeck kommt viel rum. Der ehemalige SPD-Ministerpräsident von Brandenburg (2002-2013) ist immer noch ein gefragter Mann. Jetzt kam er wieder über den „Peer-Giesecke-Highway“, wie er die vierspurige B 101 nennt, nach Luckenwalde und freut sich jedes Mal, wie toll sich diese Stadt entwickelt hat.

Eingeladen hatte ihn der heimische SPD-Landtagsabgeordnete Erik Stohn, der seit zehn Jahren Luckenwalde und den Süden des Landkreises im Landtag vertritt und sich am 22. September zur Wiederwahl stellt.

Platzeck erinnerte sich genau an die Wendezeit. „Das war kein Umbruch, sondern ein Zusammenbruch.“ Am meisten bedauert er den Wegzug vieler junger Leute damals. „Das sind die und ihre Kinder, die uns heute fehlen“, meinte Erik Stohn angesichts der 5000 offenen Lehrstellen in Brandenburg. Damals wurden in der Industriestadt Luckenwalde viele Betriebe geschlossen. Jetzt arbeiten allein 700 Menschen im Biotechnologiepark.

Trotz der Erfolge auf dem Arbeitsmarkt herrsche eine schlechte Stimmung, meinte Stohn. Das liege an den neuen Medien, meinte Platzeck. „Jeder kann die Sau rauslassen“, was die Debatte verhärte. Man müsse wieder lernen, Kompromisse einzugehen. Die AFD habe es geschafft, mit der Flüchtlingswelle die Sorgen der Menschen aufzugreifen. Und beim Ukrainekrieg sei zu viel über Panzer und zu wenig über Friedenslösungen geredet worden.

„Man darf in einer offenen Gesellschaft nichts verschweigen, auch wenn‘s unangenehm ist“, betonte Platzeck selbstkritisch. Man müsse wieder „mit dem Gesicht zu den Menschen“ stehen, mit ihnen „reden, reden, reden, es ihnen aber auch sagen, wenn sie falsch liegen“.

Das tue sein Nachfolger Dietmar Woidke. Der sei selber Landwirt und habe es geschafft, nach den Protesten auf dem Landesbauerntag mit Beifall begrüßt und nach seiner Rede mit stehenden Ovationen verabschiedet worden zu sein.

Was auch ihn unzufrieden mache, so Platzeck, sei, dass alles mit Rechtsverordnungen geregelt werde. Dabei würden weniger Regeln für schnellere Entwicklungen sorgen. Stohn versprach einen Bürokratie-Abbau-Ausschuss im neuen Landtag.

Mit Blick auf den Kreis Teltow-Fläming bemängelte Stohn, dass es an richtungsweisenden Entscheidungen mangele, wie beim Ausbau des Biotechnologieparks. „Dafür gäbe es Fördermittel, wenn wir uns jetzt entscheiden.“ Die Nachfrage sei da, nicht aber der Mut.

Tief enttäuscht zeigte sich Platzeck von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine. Als langjähriger Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums bezeichnet er das als Kulturbruch. Allerdings könnten ohne Russland keine weltweiten Lösungen wie z.B. im Klimaschutz erreicht werden. Die überfallene Ukraine müsse sich verteidigen können. Die Schützengräben hätten sich aber in zweieinhalb Jahren nur um wenige Kilometer hin- oder herbewegt. Da müsse ein Nachdenken über Waffenstillstandsverhandlungen erlaubt sein.

Wichtig sei, ein Minimum an Kontakten zu Russland aufrecht zu erhalten. Er sei froh, dass Bundeskanzler Olaf Scholz so bedächtig agiere. „Wir müssen verhindern, dass der Krieg uns irgendwann selber einholt!“

Die einzige Chance sieht Platzeck in einem neuen Helsinki-Prozess, nach dem sich die Nationen wie 1975 im Abkommen von Helsinki auf Prinzipien einigen, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Platzeck zitierte Willy Brandt, dass man Realitäten anerkennen müsse, auch wenn sie einem nicht gefallen, und Egon Bahr, dass jeder Waffenstillstand etwas Unmoralisches habe.